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Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas und Maria von Magdala. (Joh 19,25)
Maria, Mutter eines Verbrechers
Ich erinnere mich noch an die Geburt vor gut 30 Jahren. Es war meine erste. Ich hatte Angst. Keine der Frauen aus meiner Familie dabei, weder meine Mutter, noch die Tanten. Josef und ich, wir mussten ja zur Volkszählung in Josefs Stammort, wir waren ganz allein.
Dieses Kind, das dort geboren worden war, war von Anfang an ein außergewöhnliches Kind. Es war ein kluger, redegewandter, an unserer jüdischen Religion sehr interessierter Junge, dem wir den Namen Jesus gegeben hatten. Obwohl Josef als Zimmermann seine Arbeitskraft gut hätte brauchen können, ging er vor ungefähr drei Jahren von zu Hause weg. Er war davon überzeugt, dass es so, wie die Regeln unserer Religion für die Gesellschaft angewandt wurden, nicht im Sinne Jahwes sei: Dass die Menschen bestimmter Berufsgruppen an den Rand gedrängt wurden, Aussätzige, Gelähmte, Blinde, Frauen mit Blutfluss, Zöllner, Witwen und Ehebrecherinnen ausgegrenzt oder sogar getötet werden durften. Sein Denken und seine Radikalität machten mir Angst, auch wenn ich seine Gedanken und seine Haltung durchaus teilte. Wie würden die Mächtigen mit diesen kritischen Anfragen umgehen?
Unser Sohn ging zu den Menschen um sie zu überzeugen und sie zu heilen. Auch das konnte er. Er fand Männer und Frauen, die sich ihm anschlossen. Klar, war auch der eine oder die andere darunter, der oder die die Belagerung durch die Römer leid war und unseren König als unfähigen Despoten ansah. Alles nicht von der Hand zu weisen. Aber mein Kind – der Anführer dieses Widerstandes. Wie viele Nächte habe ich wach gelegen vor Sorge und Angst? Allmählich auch in Angst um sein Leben, denn natürlich hörte ich, dass sein Einfluss von den religiösen Führern mit Argwohn betrachtet wurde. Zunehmend wurden Stimmen laut, die überlegten, wie mein Sohn aus dem Weg geräumt werden könne. Sie waren die Kritik an den bestehenden ungerechten Verhältnissen und die Wünsche nach Veränderung einfach leid. Meine Angst stieg ins Unerträgliche. Selbstverständlich haben wir als Familie versucht ihn zurückzuholen. Aber er wollte lieber bei seinen Freundinnen und Freunden bleiben und sich mit ihnen gegen den wachsenden Missbrauch der Religion einsetzen, wie er es manchmal nannte. Für ihn wurden die Werte, die in den Büchern Mose überliefert sind und Grundlage unserer religiös-gesellschaftlichen Regeln sind, immer mehr missachtet.
Zum diesjährigen Paschafest sind wir als Familie die ungefähr 150 km nach Jerusalem gezogen. Denn ich wusste, dass unser Sohn Jesus sich hier auch mit seinen Freundinnen und Freunden aufhalten würde. Dann geschah, was ich all die Jahre befürchtet hatte: Mein Kind wurde festgenommen, auf brutale Weise gefoltert, verurteilt und wie ein Verbrecher hingerichtet. Mein Gott, ich kann es kaum fassen! Wie leide ich mit ihm, wenn ich an all das denke, was ihm angetan wurde! Unvorstellbar! Welche Schande für uns als Familie! Ich könnte schreien vor Schmerz, Verzweiflung und Scham. Ich, die Mutter eines zum Tode verurteilten Verbrechers!
Meine Familie und fast alle seine Freunde und Freundinnen haben sich aus Angst davor, dass es ihnen wie meinem Kind ergehen könnte, versteckt. Nur ein paar Freundinnen meines Sohnes sind, wie ich, hierhin zur Schädelhöhe gekommen. So stehen wir beim Kreuz. Es ist mir und auch ihnen egal, was uns angetan werden könnte. Er ist mein Kind! Ich liebe ihn doch – auch wenn er wie ein Verbrecher gekreuzigt und getötet wurde.
Einen stillen Karfreitag und Karsamstag und dann
ein frohes und gesegnetes Osterfest wünsche ich Ihnen/dir
Ida Prinz-Hochgürtel