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Das „Prinzip Hoffnung“: „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen“
(Ernst Bloch)
Ein abgehauener Baum. Nur der Stumpf ist noch übriggeblieben. Wind und Wetter ausgesetzt. Innen hohl. Morsch. Tot. So scheint es. Doch wo kein Leben mehr möglich ist, erblüht plötzlich eine Rose. Durch den Lichteinfall von oben wird ihre strahlende Schönheit unübersehbar. Mehr noch: Die Kraft des Lichts drängt die Dunkelheit, die zuvor alles umgeben hat, mit aller Macht an den Rand. Und man ahnt, was der Künstler Sieger Köder in seinem Bild sagen will: Die Finsternis geht zu Ende. Unweigerlich. Das Leben kommt zurück. Es besteht Grund zur Hoffnung.
„Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, sondern die Erde tränkt und sie zum Keimen und Sprossen bringt, wie er dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will, und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe.“ (Jes 55,10-11)
So spricht Gott im Buch des Propheten Jesaja in der heutigen Tageslesung. Mitten im Unheil und Dunkel des Babylonischen Exils (ca. 597-538 v.Chr.) wird die unmittelbar bevorstehende Heilszeit angesagt. Alles deutet auf einen Neuanfang hin, auf die ultimative Wende zum Guten…
Doch das Volk Israel, dem diese tröstende Botschaft gilt, tat sich schwer mit dieser Hoffnung auf Gottes Wirken. Zu trostlos empfindet es seine Lage nach dem Untergang Israels, der Zerstörung des Tempels in Jerusalem, deportiert in das ferne Babylon. Ohne Hoffnung, dass sich ihre Lage je wieder ändern könnte. Eine Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, die auch uns heute bekannt vorkommen könnte: der Krieg in der Ukraine, die sich zuspitzende Klimakatastrophe und Zerstörung der Natur, der Hunger in der Welt, Corona und seine Folgen, die immer noch großen Nachwirkungen der Hochwasserkatastrophe… Wie soll denn heute ein Neuanfang gelingen, bei all den riesigen Problemen, bei aller menschlichen Begrenztheit, bei aller Unfreiheit und Gefangenschaft in Strukturen und Herrschaftsverhältnissen, die uns unfrei und abhängig machen?
Gott hat es damals wie heute nicht leicht. Seine Botschaft – Trost für Trostlose – hat es nicht leicht. Seine Zuhörer sind wie taub. Und sie sind blind, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Um ihr Herz zu erreichen, ihren Schwermut in Mut zu verwandeln, formuliert Gott ein ums andere Mal seine Heilszusage neu, lässt er „Propheten“ wie (Deutero)Jesaja mutig auftreten und Hoffnung verbreiten. Der variantenreiche Trost hat einen Kern: Rechnet mit Gott, stellt ihn euch so vor, wie in euren kühnsten Träumen. Er ist der Schöpfer der Welt. Er ist der Herr der Geschichte. Er vermag das Schicksal seines Volkes zum Guten zu wenden – ungeachtet aller Katastrophen. Er hat sein Volk aus Ägypten geführt. Er hat Jesus vom Tod befreit: In der größten nur denkbaren Gottesfinsternis ist der Keim für das Neue angelegt. Gott lässt immer wieder neu Wege entstehen – auch dort, wo man es nicht erwartet: Selbst aus einem Baumstumpf lässt er Neues wachsen.
Nicht wenige damals in Israel und bis heute empfanden und empfinden diese Hoffnung auf bessere Zeiten als „naiv“, „weltfremd“, „Opium fürs Volk“, als „Vertröstung“. Doch die Hoffnung ist das genaue Gegenteil: sie erst gibt die Stärke, sich der Gewalt und den bestehenden ungerechten Verhältnissen in den Weg zu stellen. Es braucht Mut und Hoffnung, denn „nur wer Hoffnung hat, kann in hoffnungslos erscheinenden, verfahrenen Situationen sich auf das hin umstellen, was jetzt hier nottut“ (Hans-Joachim Sander). Oder andersherum formuliert: „Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt.“ (Ernst Bloch)
Eine Ermutigung, die wir heute genauso nötig haben wie das Volk Israel vor über 2500 Jahren. Mag es auch dunkel in der Welt und um mich herum sein. Es wird nicht bleiben, wie es ist, sondern es soll wieder hell werden: In der Mitte der Nacht beginnt ein neuer Tag. Dort, wo es am dunkelsten ist, begegnet die Trostbotschaft: Gott will Neues schaffen. Jetzt wächst und sprießt es. Sein Wort, der Same ist gelegt, schont keimt er. Der Wachstumsprozess hat längst begonnen.
Georg Toporowsky